Die Europäische Kommission hat eine Konsultation über wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Netzneutralität eingeleitet. Es geht beispielsweise darum, ob Internetanbietern Verkehrssteuerungspraktiken wie die Bevorzugung bestimmter Verkehrsarten gestattet werden sollten und ob sich daraus Probleme und Nachteile für die Nutzer ergeben könnten, ob der Wettbewerb der Internet-Diensteanbieter und die Transparenzvorschriften des neuen Rechtsrahmens für die Telekommunikation ausreichen, um möglichen Problemen vorzubeugen, wenn die Auswahl den Verbrauchern überlassen wird, und ob die EU weitere Maßnahmen ergreifen muss, um gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu garantieren oder die Entwicklung den Marktkräften überlassen sollte. Die für die Digitale Agenda zuständige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Neelie Kroes, hatte diese Konsultation, mit der sie die Diskussion über Netzneutralität in Europa vorantreiben will, schon im April 2010 angekündigt.
Vizepräsidentin Neelie Kroes erklärte dazu: "Ich bin entschlossen, das Internet offen und neutral zu halten. Die Verbraucher sollen Zugang zu allen Inhalten haben, die sie wollen. Gleichzeitig sollten Inhalteanbieter und Betreiber die richtigen Anreize für weitere Innovationen haben. Aber Verkehrssteuerung und Netzneutralität sind hoch komplexe Fragen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich ein Konzept gegen ein anderes durchsetzen sollte. Vielmehr brauchen wir die Beiträge aller Seiten, damit wir diese Fragen gründlich und objektiv analysieren können, um einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden und – falls notwendig – neue Maßnahmen auszuarbeiten."
Verkehrssteuerung im modernen Internet
In den letzten Jahren hat sich das Internet grundlegend verändert. Immer mehr Benutzer verfügen über sehr schnelle Breitbandanschlüsse. Dienste wie z. B. Internet-Fernsehen (IPTV) und Videoaustausch (Videosharing), die hohe Übertragungskapazitäten beanspruchen, sind auf dem Vormarsch. Gleichzeitig verbreiten sich neue Technologien wie die Internettelefonie (VoIP), die Sprachanrufe über das Internet ermöglicht.
Vor diesem Hintergrund haben Internet-Diensteanbieter neue Instrumente entwickelt, um zwischen verschiedenen Websites und Anwendungen, auf die über ihre Netze zugegriffen wird, zu unterscheiden, weil sie auf diese Weise Datenstaus vermeiden und ihre Netze effizienter auslasten können. Mit Hilfe dieser Werkzeuge, die unter dem Begriff "Verkehrssteuerung" oder "Datenverkehrsmanagement" zusammengefasst werden, können sie das effiziente Funktionieren ihrer Netze und die zuverlässige Bereitstellung von Premiumdiensten wie IPTV sicherstellen, müssen dabei aber die EU-Vorschriften einhalten und ihre Kunden über die zu erwartende Dienstqualität informieren. Dieselbe Technik kann aber auch eingesetzt werden, um den Zugriff über Festnetz- oder Mobilfunkverbindungen auf andere Dienste oder Anwendungen, die keine Priorität genießen, zu verlangsamen oder die Qualität anderer Dienste gezielt zu verschlechtern. Deshalb gibt es Befürchtungen, dass die Bevorzugung bestimmter Datenströme anderen Nutzern schaden und die Offenheit des Internet untergraben könnte.
Schwerpunkt der Konsultation
Mit der nun begonnenen öffentlichen Konsultation sollen Stellungnahmen zur Frage der Verkehrssteuerung im Internet im Hinblick auf die Netzneutralität eingeholt werden. Die Kommission möchte mehr über potenzielle Probleme im Zusammenhang mit bestimmten Formen der Verkehrssteuerung erfahren und herausfinden, ob die neuen Telekommunikationsvorschriften zu deren Behebung ausreichen. Ferner geht es um technische und wirtschaftliche Aspekte, Fragen der Dienstqualität und darum, ob die Netzfreiheit beeinträchtigt werden könnte.
Nächste Schritte
Die Kommission wird die im Rahmen der Konsultation eingehenden Stellungnahmen und die Meinungsäußerungen aus anderen Foren auswerten und bis Ende 2010 eine Mitteilung über die Netzneutralität vorlegen. Darin wird sie ihre Überlegungen in Bezug darauf erläutern, ob zusätzlichen Initiativen oder Orientierungen notwendig sind.
Hintergrund
Obwohl es keine feste Definition für den Begriff "Netzneutralität" gibt, wird darunter im Allgemeinen verstanden, dass im Internet alle Daten ungeachtet ihres Ausgangs- und Zielpunkts gleich behandelt werden sollten. Das bedeutet ganz allgemein, dass die Internetnutzer in der Lage sein sollten, auf alle Inhalte und Anwendungen ihrer Wahl zuzugreifen.
Als Vorbedingung für die Verabschiedung des Telekom-Reformpakets von 2009 hatte die Kommission zugesagt, die Offenheit und Neutralität des Internet genau zu beobachten und dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat über den Stand der Dinge Bericht zu erstatten. Diese Konsultation ist ein Teil der Folgemaßnahmen, mit denen die Kommission dieser Verpflichtung nachkommt.
Aufgrund des neugefassten EU-Rechtsrahmens für die Telekommunikation sind die nationalen Regulierungsbehörden befugt, eine bestimmte Mindestqualität für Netzübertragungsdienste vorzuschreiben. Außerdem müssen die Verbraucher nach den neuen Transparenzanforderungen schon vor Vertragsabschluss über die genaue Art der Dienste, die eingesetzte Verkehrssteuerung und deren Folgen für die Dienstqualität sowie über andere Beschränkungen (Höchstbandbreiten oder -geschwindigkeiten) informiert werden.