Die Initiative Forschungsinfrastrukturen verfolgt wie die anderen Initiativen zur Wiederbelebung des Europäischen Forschungsraums (EFR)(1) die Einrichtung einer dauerhaften Partnerschaft zwischen den Mitgliedstaaten und den Interessengruppen – Universitäten, Forschungseinrichtungen, Ausrüstungslieferanten und Nutzern. Wenn Europa seine Spitzenleistungen in der Forschung festigen möchte, muss es die bestehenden Anlagen optimieren und im Rahmen von Großprojekten neue Infrastrukturen bauen: Observatorien, Datenbanken, Strahllinien, Kommunikationsnetze.
Für die besonders teuren und komplexen Forschungsinfrastrukturen von Weltklasse müssen die finanziellen Mittel mehrerer Länder zusammengeführt werden. Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen ESFRI (European Strategy Forum on Research Infrastructures)(2) wurde 2002 gegründet, um in erster Linie Prioritäten im Hinblick auf Forschungsinfrastrukturen auf EU-Ebene festzulegen. Diese können an einem Ort aufgestellt, in verteilten Netzen oder sogar virtuell bestehen.
2006 stellte ESFRI einen strategischen Fahrplan mit 35 vorrangigen paneuropäischen Infrastrukturen auf, mit denen Wissenschaft und Innovation in Europa in den kommenden 20 Jahren weiterentwickelt werden sollen. Um den Fahrplan an die sich rapide verändernden wissenschaftlichen und technologischen Bedürfnisse anzupassen, wurde er 2008 ein erstes Mal überarbeitet und besteht heute aus 44 Projekten. Die Verwirklichung der Infrastrukturen müsste den EFR bei Projekten aus Physik, Umwelt, Energie, Biomedizin und Informations- und Kommunikationstechnologien auf ein hohes Exzellenzniveau anheben.
Zusammenarbeit – eine Notwendigkeit
Inwiefern begünstigen die neuen Infrastrukturen die Zusammenarbeit zwischen Forschern im EFR im Vergleich zu anderen nationalen Einrichtungen? Für Norbert Kroo, Vizepräsident der ungarischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied des Europäischen Forschungsrats, muss diese Frage anders formuliert werden: "Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist deutlich geworden, dass die Instrumente in wissenschaftlichen Bereichen so teuer geworden sind, dass ein Land allein die Kosten nicht tragen kann. Als Lösung dieses Dilemmas bietet sich die Durchführung internationaler Projekte zwischen nationalen Einrichtungen und Regierungen an. Die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) sind zwei Beispiele dafür. Diese Organisationen erhielten ihre Existenzberechtigung vor allem dadurch, dass sie Forschung erst möglich machten und weniger aufgrund der Tatsache, dass sie die Zusammenarbeit anregten: die Zusammenarbeit war das Mittel und nicht der Zweck."
Und er fügt hinzu: "Für den Fortschritt der Wissenschaft sind immer teurere und umfangreichere Instrumente notwendig, für die eine Zusammenarbeit auf sehr hoher Ebene nötig wird, das heißt auf weltweiter Ebene wie im Fall des thermonuklearen Fusionsreaktors ITER(3). Bei der Gründung des EFR und der Initiierung gemeinsamer Aktionen hat die EU diese Tatsachen berücksichtigt. Nachdem die Kommission 2007 das Grünbuch über die neuen Perspektiven des EFR angenommen hatte, veröffentlichte die Expertengruppe für Forschungsinfrastrukturen 2008 einen Bericht(4), der sich auf die Festlegung von vorrangigen Forschungsthemen, die Finanzierung europaweiter Infrastrukturen, die Notwendigkeit eines besonderen Rechtsrahmens, die Form der Verwaltung und die elektronischen Infrastrukturen konzentrierte."
Michel Van der Rest, Generaldirektor des Synchrotrons SOLEIL und Präsident der ERF(5) (European association of national Research Facilities open to international access), ergänzt: "Unter den sehr großen Infrastrukturen nehmen die Photonen- oder Neutronenstrahlenquellen einen ganz besonderen Platz ein. Um die Strahlenquelle herum, die auch den größten Teil der Anlage darstellt (Synchrotronring, Kernreaktor, Spallationsquelle, Freier Elektronenlaser), sind zahlreiche unterschiedliche Experimente aufgebaut, bei denen Materialproben in allen Formen und für alle wissenschaftlichen Fachgebiete analysiert werden können."
Für ihn "ist die Koexistenz mehrerer nationaler und internationaler Quellen ein Zeichen des wissenschaftlichen Reichtums, weil sie allen Forschern im EFR zugänglich sind und weil alle Strahllinien jeweils auf einen bestimmten Analysetyp abgestimmt sind. Jede ist deshalb relativ einzigartig. Die Möglichkeit, Zugang zu einem großen Agglomerat an Strahlenquellen und Versuchsanlagen zu haben, ist der Reichtum, der auf europäischer Ebene geteilt werden muss. Folglich ist es nicht das nationale oder internationale Wesen der Infrastruktur, das Forscher aus aller Herren Länder anzieht, um dort ihre Proben untersuchen zu lassen und deren physikalische Eigenschaften, die chemische Reaktionsfähigkeit, die biologischen Eigenschaften oder auch die Vergangenheit oder Geschichte zu verstehen. Der Grund dafür liegt in der Komplementarität im Vergleich zu anderen Infrastrukturen."
Eine Rechtsperson nach Maß
Eine der größten Schwierigkeiten für die Errichtung neuer Forschungsinfrastrukturen in der EU war, dass es keinen angemessenen Rechtsrahmen gab, der die Einrichtung von Partnerschaften mit Organisationen aus mehreren Ländern ermöglichte. In der Tat konnten die in den verschiedenen Landesrechten vorgesehenen Rechtsformen nicht immer die Bedürfnisse dieser neuen Infrastrukturen erfüllen. Auf die Empfehlung einer von Beatrix Vierkorn-Rudolph, Vizepräsidentin des ESFRI, geleiteten Arbeitsgruppe wurde im Juni 2009 ein gemeinschaftlicher Rechtsrahmen für ein europäisches Konsortium für eine Forschungsinfrastruktur (ERIC, European Research Infrastructure Consortium) angenommen, der seitdem die Entwicklung einer europäischen Politik zu den Forschungsinfrastrukturen unterstützt.
Mit diesem neuen Rahmen wird eine in allen Mitgliedstaaten anerkannte Rechtsperson geschaffen. Diese neue Regelung wird Forschung in Europa auch auf internationalem Niveau attraktiver machen und damit auch vermehrt die Teilnahme nichteuropäischer Länder ermöglichen, was auch der Stärkung des EFR zugutekommt. An einer Forschungsinfrastruktur mit ERIC-Status müssen mindestens drei Mitgliedstaaten beteiligt sein und es können Drittländer, assoziierte Länder und zwischenstaatliche Organisationen einbezogen werden. Beatrix Vierkorn-Rudolph freut sich über diese Übereinkunft: "Die Verhandlungen zwischen den verschiedenen Partnern, die eine neue Forschungsinfrastruktur einrichten wollen, werden sich erheblich vereinfachen. Da es möglich ist, ein ERIC als internationale Organisation anzuerkennen, sind Mehrwertsteuerbefreiung und andere Erleichterungen im Hinblick auf die interne Organisation möglich. Die ersten Forschungsinfrastrukturen des Fahrplans sind als ERIC bereits in der Startphase. Ich bin gespannt, wie dieses neue Rechtsinstrument in der Praxis funktionieren wird." Es lohnt sich also, die Entwicklung zu verfolgen.
Fußnoten
1. Die anderen Initiativen betreffen Forscherlaufbahnen und -mobilität, die Wissensverbreitung, die gemeinsame Programmplanung und die internationale wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit.
2. http://cordis.europa.eu/esfri/
3. http://www.iter.org
4. Bericht EUR 23320, Developing World-class Research Infrastructures for the European Research Area (ERA), 2008.
5. http://www.europeanresearchfacilities.eu